Rezeption im Westen

Schon seit dem 17. Jahrhundert war das I Ging in Europa durch die Teilübersetzung von Richard Couplet SJ (Confucius Sinarum philosophus, 1687) bekannt, u. a. Leibniz schätzte es sehr: Er glaubte, seine Erfindung des binären Zahlensystems in dem Text vorweggenommen zu sehen und schloss daraus (fälschlicherweise) auf eine hochentwickelte altchinesische Mathematik. Die erste vollständige lateinische Übersetzung durch den Jesuiten Jean-Baptiste Régis erschien 1834–1839.

Das Verdienst, das I Ging einer breiteren Rezeption zugeführt zu haben, kommt aber vor allem dem deutschen Sinologen Richard Wilhelm zu, der seine einflussreiche Übersetzung nach eigenen Angaben mit Hilfe und unter Anleitung seines „verehrten Lehrers Lau Nai Süan“, eines „der bedeutendsten chinesischen Gelehrten der alten Schule“, 1923 vollendete (Veröffentlichung 1924 im Verlag E. Diederichs; vgl. Vorrede zur Erstausgabe von Richard Wilhelm, Peking, 1923).

Nicht zuletzt durch Wilhelms Übersetzung, die ihrerseits in andere Sprachen, u. a. ins Englische, übertragen wurde, wurde das I Ging zum bekanntesten aller chinesischen Bücher, das in Millionen von Exemplaren Verbreitung fand. Für die Anfertigung seiner Übersetzung sichtete er umfangreiches Material aus westlichen und chinesischen Quellen, u. a. die Zehn Flügel.

Für die westliche Rezeption außerhalb der modernen Sinologie, die sich in vielen Punkten der Auffassung des moderneren China über den Daoismus anschließt, ist bis in die neueste Zeit charakteristisch, dass sie nicht nur die jahrhundertelange chinesische Kommentartradition aufgreift, sondern unmittelbare Zugänge zum Text sucht, die oft auf von den modernen Verfassern unterstellte Eigenarten des altchinesischen Denkens rekurrieren.

Nach Auffassung des Sinologen Hellmut Wilhelm, der Lehrstühle an der Peking-Universität und an der University of Washington innehatte, ist die im I Ging beschriebene Welt ein nach bestimmten Gesetzen ablaufendes Ganzes, dessen Formen aus der permanenten Wandlung der beiden polaren Urkräfte entstehen. Die Grundprinzipien sind das Schöpferische (Bild Nr. 1, = Himmel, Licht, Festes, yang, …) und das Empfangende (Bild Nr. 2, = Erde, Dunkel, Weiches, yin, …). Im I Ging ist „eine Zusammenordnung der Situationen des Lebens in all seinen Schichten, persönlichen sowohl wie kollektiven, und in all seiner Ausbreitung versucht.“

Der Schweizer Komponist Alfons Karl Zwicker komponierte „Secretum“ (2006–2007, acht Stücke nach den Urzeichen des I Ging für Violoncello und Kontrabass). Nachdem John Cage das I Ging kennengelernt hatte, schuf er „Music of Changes“ (1951) und weitere Werke, die auf dem Zufallsverfahren, ähnlich dem Orakel, basieren. Auf dem von der britischen Rockgruppe Pink Floyd 1967 veröffentlichten Album The Piper at the Gates of Dawn befindet sich ein Song mit Namen Chapter 24, der Textbausteine der Übersetzungen von Richard Wilhelm (ins Englische übersetzt von Cary F. Baynes) und James Legge beinhaltet. Außerdem wird auch in der 1962 erschienenen Dystopie „The Man in the High Castle“ von Philip K. Dick Bezug auf das I Ging genommen.

Der mit Richard Wilhelm freundschaftlich verbundene Carl Gustav Jung, einer der Wegbereiter der modernen Tiefenpsychologie und Begründer der Analytischen Psychologie, schätzte das I Ging sehr und sah darin eine Möglichkeit des Zugangs zum Unbewussten. Jung verwendete den Begriff synchronistisches Prinzip öffentlich erstmals 1930 in seinem Nachruf auf den Freund.

„Die Wissenschaft des I Ging beruht nämlich nicht auf dem Kausalprinzip, sondern auf einem bisher nicht benannten – weil bei uns nicht vorkommenden – Prinzip, das ich versuchsweise als synchronistisches Prinzip bezeichnet habe.“ (Carl Gustav Jung: Nachruf auf Richard Wilhelm)

 
Quelle: (Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/I_Ging)
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